Was bedeutet Fehlerkultur in der heutigen Arbeitswelt?

Der Begriff Fehlerkultur bezeichnet den Umgang mit Fehlschlägen im Unternehmen. Dazu gehört die Art und Weise, Misserfolge zu bewerten und auf sie zu reagieren. Eine positive Fehlerkultur ist ein wichtiger Bestandteil einer gelungenen Unternehmenskultur. Wenn bei Misserfolgen nicht die Schuldfrage, sondern ein lösungsorientiertes Denken im Mittelpunkt steht, entsteht eine Kultur des Lernens und der Veränderung.

Die Sozialwissenschaftlerin Amy Edmondson von der Harvard Business School prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der psychologischen Sicherheit. Ein Arbeitsklima, indem niemand für Fehler oder Kritik bestraft wird, fördert eine Atmosphäre des Vertrauens und der Lernbereitschaft.

Eine positive Fehlerkultur im Unternehmen ist aus folgenden Gründen vorteilhaft:

Fehlerkultur kann Eigenverantwortung fördern

Wer einmal einen Fehler im Beruf begangen hat, wird sich in Zukunft bemühen, denselben Fehler nicht noch einmal zu begehen. Wird im Unternehmen offen über entstandene Missgeschicke gesprochen, arbeiten Mitarbeiter auf Dauer gewissenhafter. Das Resultat: Die persönliche Eigenverantwortung wächst.

Fehlerkultur kann zur Lösung beitragen

In einer offenen und positiven Fehlerkultur fühlen sich Mitarbeiter nicht gedemütigt, sondern lernen, sich eigene Fehler einzugestehen. Anstatt sich selbst oder anderen Vorwürfe zu machen oder den Fehler zu ignorieren, suchen sie gezielt nach Lösungen für entstandene Probleme.

Fehlerkultur kann Arbeitsklima positiv beeinflussen

Eine positive Fehlerkultur im Unternehmen stärkt nicht nur die Problemlösungskompetenz Ihrer Mitarbeiter, sondern führt außerdem zu einem angenehmen Arbeitsklima. Ein wertschätzender, vertrauensvoller Umgang innerhalb des Teams stärkt die Motivation und Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter und somit auch die Produktivität.

Fehler klassifizieren: Nicht alle Misserfolge sind gleich

Manche Projekte scheitern, weil die Planung von vornherein unzureichend war – bei anderen hätte niemand voraussehen können, dass der Erfolg ausbleibt. Die Differenzierung von Fehlern nach bestimmten Kriterien hilft dabei, die Ursachen des Scheiterns besser zu verstehen, anstatt vorschnell jemandem die Schuld zuzuweisen. Die Sozialwissenschaftlerin Amy Edmondson unterscheidet zwischen vermeidbaren, komplexitätsbedingten und Innovationsfehlern.

  1. Vermeidbare Fehler

    Ein Zahlendreher in einer Kundenrechnung, ein falsch beschriftetes Dokument oder eine vergessene Deadline sind Fehler, die durch Nachlässigkeit, in Eile oder bei Überlastung entstehen – etwa, wenn eine Fachkraft zu viele Projekte gleichzeitig managen muss. Viele Routinefehler lassen sich durch Qualitätskontrolle und festgelegte Prozesse vermeiden. Zu den vermeidbaren Fehlern zählt außerdem absichtliches Fehlverhalten. Eine positive Fehlerkultur, welche offene Kommunikation und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter fördert, kann Regelverstößen vorbeugen.

  2. Komplexitätsbedingte Fehler

    Ein geplantes Bauvorhaben verzögert sich durch die veränderte politische Lage in einem Zuliefererland, ungewöhnliche viele krankheitsbedingte Ausfälle und eine anhaltende Unwetterlage. Das Beispiel zeigt: Komplexitätsbedingte Fehler sind schwer vorhersehbar. Sie haben vielschichtige Ursachen und entstehen häufig, weil Systeme überlastet sind. Unternehmen können aus komplexen Fehlern für die Zukunft lernen, um Probleme frühzeitig zu erkennen und negative Konsequenzen zu vermeiden.

  3. Innovationsfehler

    Ob wissenschaftliches Experiment oder die Entwicklung einer neuen Technologie – Innovationsfehler entstehen, wenn Unternehmen bisher unbekanntes Territorium betreten. Es ist unmöglich, diese Art von Misserfolgen vorauszusagen. Laut Edmondson kommt es eher darauf an, kalkulierte Risiken einzugehen und mögliche Verluste einzugrenzen. Ein solches intelligentes Scheitern bietet dem Unternehmen wichtige Lernmöglichkeiten auf dem Weg zur Innovation.

Intelligentes Scheitern – Ein integrativer Teil einer positiven Fehlerkultur

Auf den ersten Blick scheinen die Wörter „intelligent“ und „Scheitern“ nur wenig gemeinsam zu haben. Allerdings wäre Innovation ohne Rückschläge kaum möglich. Intelligentes Scheitern nach Amy Edmondson schafft Raum für Kreativität und Lernen. Diese Art des Scheiterns ist nicht nachlässig oder unachtsam, sondern bewusst und reflektiert. Wohlüberlegte Experimente, die Misserfolge mit einkalkulieren, können das Lernen vorantreiben. Jeder Fehler wird als ein weiterer Schritt zu einer effektiven Problemlösung betrachtet. Es entsteht eine Kultur des Experimentierens, in der Mitarbeiter sich trauen, neue Ideen auszuprobieren. Die Voraussetzung dafür, dass Scheitern lernfördernd ist, sind die folgenden vier Bedingungen.

  1. Das Projekt bewegt sich in neuem Terrain

    Scheitern ist intelligent, wenn es in einer bisher unbekannten Situation auftritt. Hier ein Beispiel: Ein Unternehmen testet ein neu entwickeltes, nachhaltiges Produkt in einem Kundensegment, dass es bisher nicht bedient hat. Durch das Ausprobieren neuer Strategien gewinnt das Unternehmen wichtige Erkenntnisse für die Zukunft.

  2. Das Projekt setzt auf eine begründete Hypothese

    Intelligentes Scheitern geht systematisch vor, um das Lernpotenzial zu maximieren. Projekte müssen deshalb auf nachvollziehbaren Hypothesen basieren, die überprüft und angepasst werden können. Für das vorherige Beispiel könnte die Hypothese gelten: „Wir glauben, dass die Kunden aus dem Segment X eher bereits sind, nachhaltige Produkte zu kaufen als herkömmliche.“

  3. Sorgfältige Umsetzung

    Scheitern ist dann intelligent, wenn es keinen größeren Schaden nach sich trägt. Experimente, die mit einem hohen Maß an Sorgfalt und Fachwissen durchgeführt werden, können Risiken von Anfang an mit einkalkulieren. Außerdem sorgt eine gute Planung dafür, dass Fehlerursachen später erkannt werden können und Ergebnisse nicht durch Nachlässigkeit verfälscht werden. Ein Beispiel für eine sorgfältige Umsetzung ist das Design eines technisch sauberen Prototyps dessen Markteinführung genau geplant wird.

  4. Offenheit und Reflexion

    Eine positive Fehlerkultur bildet die Grundlage für das intelligente Scheitern. Nur wenn alle Beteiligten offen über den Misserfolg und dessen Ursachen sprechen, kann ein bewusster Lernprozess stattfinden. Die Schuldfrage spielt beim intelligenten, experimentellen Scheitern keine Rolle. Vielmehr geht es um neue Erkenntnisse, die das Unternehmen dauerhaft weiterbringen.

Sorgfältig geplant, transparent und reflektiert – intelligentes Scheitern ist ein Kernelement agiler Unternehmenskulturen. Eine auf Innovation ausgerichtete Fehlerkultur macht Mut, neue Wege auszuprobieren und erkennt, dass Misserfolge wichtige Lernerkenntnisse sind.

Fehlerkultur im Unternehmen: negativ vs. positiv

Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Mitarbeiter hat die Anfrage eines potenziellen Großkunden zu lange nicht beantwortet. Jetzt ist der Auftraggeber abgesprungen und zur Konkurrenz übergelaufen.

Wie würden Sie als Führungskraft in dieser Situation reagieren? Würden Sie Ihren Mitarbeiter vor der versammelten Belegschaft kritisieren und mit Konsequenzen drohen? Oder würden Sie im Einzelgespräch Ursachen suchen und mögliche Lösungsansätze für die Zukunft finden?

Wie Sie als Führungskraft mit einer solchen Situation umgehen, hat weitreichende Folgen für Ihr Unternehmen

Negative Fehlerkultur

In Unternehmen herrscht heute noch oft die Devise: Fehler dürfen nicht passieren. Wenn etwas schief geht, suchen Vorgesetzte nach Schuldigen. Unter solchen Umständen gestehen sich viele Mitarbeiter begangene Fehler im Beruf nicht offen ein.

Stattdessen werden Probleme kleingeredet oder unter den Teppich gekehrt. Die Folgen einer solchen Fehlerkultur:

  • Probleme, die niemand ansprechen möchte, können auch nicht gelöst werden.
  • Die ständige Angst vor Bloßstellung oder anderen negativen Konsequenzen führt zu einem angespannten Betriebsklima.
  • Mitarbeiter fühlen sich demotiviert und unzufrieden.
  • Um auf der sicheren Seite zu sein, treffen sie defensive Entscheidungen, die im schlimmsten Falle Unternehmensentwicklungen ausbremsen können.

Positive Fehlerkultur

In einer positiven Fehlerkultur werden Pannen und Probleme als Teil des Weges in eine bessere Zukunft verstanden. Es wird offen darüber gesprochen, was passiert ist und wie es dazu kommen konnte.

Es geht weniger darum, wer den Fehler gemacht hat, sondern vielmehr darum herauszufinden, was die Ursache war und wie es künftig anders gemacht werden kann.

Dieser lösungsorientierte Umgang mit Fehlern im Job sorgt dafür, dass Probleme frühzeitig erkannt und gelöst werden. Mitarbeiter, die fehlerfreundlich arbeiten dürfen, fühlen sich motivierter und sind eher gewillt, neue und innovative Ideen einzubringen.

Positive Fehlerkultur im Unternehmen etablieren: 4 praktische Tipps

In einer positiven Fehlerkultur werden Fehler nicht ignoriert, sondern kreativ gelöst. Mit Hilfe der folgenden vier Schritte etablieren Sie ein positive und konstruktive Fehlerkultur:

1. Aktuelle Fehlerkultur analysieren

Nehmen Sie sich Zeit zur Analyse: Wie würden Sie die bisherige Fehlerkultur in Ihrem Unternehmen beschreiben? Überlegen Sie, wie Misserfolge und Probleme bei Ihnen gehandhabt werden.

Dabei können Ihnen die folgenden Fragestellungen helfen:

  • Wie werden Fehler gemeldet?
  • Dürfen Fehler auch anonym gemeldet werden?
  • Wer setzt sich mit der Fehlermeldung auseinander?
  • Wie werden Fehler behoben?
  • Werden Mitarbeiter zur Verantwortung gezogen?
  • Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Mitarbeiter Angst haben, Fehler zu melden?

2. Faire Regeln etablieren

Im Teammeeting merken Sie, dass die Vorschläge Ihrer Mitarbeiter sind sehr ähnlich sind. Nur zögernd traut man sich, ungewöhnliche Ideen einzubringen. Übertriebener Perfektionismus und die Angst, einen Fehler zu machen, zeigen sich als Bremse für Innovation und Kreativität.

Machen Sie Ihren Mitarbeitern deshalb deutlich, dass Fehler erlaubt sind und nicht bestraft werden. Finden Sie die richtige Balance, wenn Sie eine positive Fehlerkultur etablieren. Natürlich sollten Mitarbeiter sich nicht aufgefordert fühlen, unkalkulierbare Risiken einzugehen oder weniger gewissenhaft zu arbeiten.

Stellen Sie faire Regeln auf und ziehen Sie bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln die Grenze. Gehen Sie als Führungskraft mit gutem Beispiel voran und gestehen Sie sich eigene Fehler im Beruf ein – das vermittelt Vertrauen und verschafft Ihnen Respekt in Ihrem Team.

3. Fehler-Prozess festlegen

Zu einer gelungenen Fehlerkultur im Unternehmen gehört ein wirksamer Fehler-Prozess, den alle Mitarbeiter kennen und verstehen. Damit Fehler im Beruf möglichst schnell behoben werden können, sollte dieser Prozess kurz sein. Bringen Sie alle Beteiligten in einem Meeting zusammen und suchen Sie gemeinsam nach Lösungen.

Legen Sie unter anderem fest, wie Fehler gemeldet werden sollen. Besonders effektiv ist ein Fehlermeldeformular, auf dem Mitarbeiter nicht nur das Missgeschick beschreiben, sondern gleichzeitig mögliche Ursachen und Lösungsvorschläge notieren.

4. Fehler personenunabhängig analysieren

Einer Ihrer Angestellten hat einen Telefontermin mit einem Kunden in London vereinbart. Dabei hat er leider nicht berücksichtigt, dass sich England in einer anderen Zeitzone befindet. Der Kunde hat eine Stunde auf den Anruf gewartet und ist verärgert.

Mit einer individuellen Schuldzuweisung erreichen Sie in einer solchen Situation vielleicht, dass der betroffene Mitarbeiter aus dem Vorfall lernt. Andere Teammitglieder wissen nicht unbedingt, dass das Problem überhaupt aufgetreten ist.

In einer positiven Fehlerkultur werden Missgeschicke deshalb gemeinsam mit dem Team analysiert und es werden Maßnahmen festgelegt, damit ein Fehler nicht noch einmal auftritt.

Wichtig hierbei: Wer für ein Problem verantwortlich ist, spielt in diesem lösungsorientierten Ansatz eine untergeordnete Rolle. Die Person darf nicht in die Rolle des Sündenbocks geraten, denn das entspricht nicht dem Konzept einer positiven Fehlerkultur. Vielmehr gilt es, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass Fehler zwar ernst genommen werden, aber stets rücksichtsvoll aufgearbeitet werden.

Fazit: Mit einer positiven Fehlerkultur zukunftsfähig bleiben

Schon Albert Einstein wusste: “In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten.” Eine positive Fehlerkultur ist mehr als ein „Nice-to-have“. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Unternehmen innovative Lösungen erarbeiten und zukunftsfähig bleiben. Außerdem ist der konstruktive Umgang mit Rückschlägen ein wichtiger Teil einer positiven Unternehmenskultur. Ein angenehmes Arbeitsklima schafft Motivation, fördert die Kreativität und stärkt die Mitarbeiterbindung.

Alte Muster abzulegen und eine positive Fehlerkultur im Unternehmen zu verankern, ist eine Umstellung für alle Beteiligten. Da das  Verbessern der Unternehmenskultur ein dynamischer Prozess ist, sollten Sie sich unbedingt etwas Zeit nehmen, um Veränderungen durchzuführen. Für die Etablierung einer neuen Fehlerkultur ist es zudem wichtig, Ihr Team mit einzubeziehen.

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In den Berlitz Seminaren zum Thema Fehlerkultur reflektieren Sie beispielsweise gemeinsam mit Ihrem Team Ihren bisherigen Umgang mit Rückschlägen und lernen, aus alten Mustern auszubrechen. Läuft künftig etwas schief, können Sie das Problem gemeinsam mit Ihrem Team so schnell wie möglich anpacken und aus der Welt schaffen.

Der Beitrag wurde erstmals am 22.02.2025 veröffentlicht und am 18.07.2025 aktualisiert