Die Macht der Worte: Wie Sprache unsere Identität formt

Forscher der University of Wisconsin-Milwaukee haben in einer Studie herausgefunden, dass Veränderungen in der Selbstwahrnehmung mit Mehrsprachigkeit zusammenhängen können. Bei einer Gruppe zweisprachiger hispanischer Frauen, die sowohl an der lateinamerikanischen als auch der angloamerikanischen Kultur teilhaben, wurde dieser Effekt besonders deutlich.

Die Studie ergab, dass Zweisprachigkeit zu dem Phänomen führte, das die Forscher als „frame-shifting“ bezeichneten. Hierbei handelt es sich um Veränderungen in der Selbstwahrnehmung und Identität. Einige der bikulturellen Frauen fühlten sich selbstbewusster, wenn sie Spanisch sprachen, andere bei Verwendung der englischen Sprache. Zudem nahmen sie andere Personen unterschiedlich wahr, je nachdem, welche Sprache sie verwendeten.

In einer der Studien wurden den Frauen Anzeigen präsentiert, die verschiedene Szenarien mit anderen Frauen darstellten. Zunächst wurden ihnen die Anzeigen in einer Sprache (Spanisch oder Englisch) gezeigt und sechs Monate später in der jeweils anderen Sprache. Nach der zweiten Betrachtung hatten sich die Wahrnehmungen verändert. Eine der Befragten sah zum Beispiel in der spanischen Version die Hauptfigur einer Anzeige als risikofreudige und unabhängige Frau. In der englischen Version hingegen empfand sie diese als hoffnungslos und einsam.

Sprache und Identität: Der Big-Five-Persönlichkeitstest

Ebenfalls für Aufsehen sorgte eine Studie aus dem Jahr 2006. Die Assistenzprofessorin für Sozialpsychologie an der Universität von Connecticut, Nairan Ramirez-Esparza, reichte Amerikanern mit mexikanischen Wurzeln zwei Versionen des Big-Five-Persönlichkeitstests: Eine auf Englisch und eine auf Spanisch. Mit den „Big Five“ werden die folgenden allgemeinen menschlichen Eigenschaften gemessen:

  • Extraversion
  • Verträglichkeit
  • Gewissenhaftigkeit
  • Neurotizismus
  • Offenheit für Erfahrungen

Die Untersuchung von Ramirez-Esparza und ihren Kollegen zeigte, dass Teilnehmer in den Bereichen Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit bessere Ergebnisse erzielten, wenn sie den Test auf Englisch absolvierten. Dieses Ergebnis wird auf die Tatsache zurückgeführt, dass diese Eigenschaften in Kulturen wie den USA generell höher bewertet werden.

In einer nachfolgenden Studie wurden die Teilnehmer gebeten, ihre eigene Persönlichkeit zu beschreiben. Dabei konzentrierten sie sich beim Schreiben auf Spanisch mehr auf ihre Beziehungen, Hobbys und Familien, während sie auf Englisch ihre individuellen Leistungen, ihre Schulbildung und ihre täglichen Aktivitäten betonten. Ramirez-Esparza erklärte: „Die Sprache kann nicht von den kulturellen Werten getrennt werden. Man sieht sich selbst durch die kulturellen Werte der Sprache, die man spricht.“

Kommunikation verändert Persönlichkeit

Diese Studien werfen eine interessante Frage auf: Spiegeln die „Persönlichkeitsveränderungen“ unterschiedliche Gefühle über sich selbst wider oder existieren sie nur im Rahmen eines sozialen Austauschs? Laut Bonny Norton, Professorin für Sprach- und Leseerziehung an der University of British Columbia, bedeutet die Aussage „Meine Persönlichkeit verändert sich“ in Wirklichkeit: „Wenn ich mit anderen Menschen spreche, verändert sich meine Persönlichkeit.“

Andere Forscher haben jedoch festgestellt, dass die Grammatik die Wahrnehmung und das Verhalten, nicht aber die Persönlichkeit beeinflusst. Dies geschieht unabhängig davon, ob man an einem kommunikativen Austausch beteiligt ist.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie eine andere Sprache sprechen?

Wie erleben zweisprachige Menschen aus aller Welt das Sprechen mehrerer Sprachen? Welche Auswirkungen hat das auf ihre Identität, ihren Selbstausdruck, ihre geistige Konzentration und andere Aspekte des täglichen Lebens?

Fred Canada

Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch

„Jahrelang habe ich mich von einem Zitat von Vladimir Nabokov leiten lassen und ihm geglaubt, als er sagte: ‚Deutsch ist ein lebenslanges Hobby und ein ständiger Prozess.‛ Nabokov beherrschte als Kind drei Sprachen fließend, während ich als Kind Französisch und Englisch sprach. Dennoch war das Erlernen der deutschen Sprache keine einfache Aufgabe für mich, da ich mit einer eher negativen Einstellung an die Sprache heranging. Denn im Alter von elf Jahren, nach einem Jahr in Deutschland, trennten sich meine Eltern, während mein Vater noch weitere drei Jahre dort stationiert war. Dies hatte psychologische Auswirkungen auf mich.

Bei der französischen Sprache verspüre ich dagegen eine nostalgische Vorliebe für Lyrik, Romantik und Abenteuer, während Deutsch eine Entschlossenheit zur Struktur, ein Angstbewusstsein bzw. eine Wachsamkeit und eine Art wissenschaftliche Substanz für mich bedeutet. Möglicherweise liegt das daran, dass ich im Alter von fünfzig Jahren an die Universität zurückgekehrt bin, um einen meiner Abschlüsse in Germanistik zu erlangen.“

Hallie Price

Sprachen: Englisch, Spanisch

„Das Sprechen einer anderen Sprache verändert mein Gefühl und mein Verständnis für verschiedene Kulturen. Seit ich zweisprachig bin, habe ich auch kognitive Unterschiede an mir bemerkt. Obwohl ich nicht in einem zweisprachigen Haushalt aufgewachsen bin, war das Erlernen von Spanisch als zweite Sprache ein bewusster und langfristiger Prozess. Neben der Fähigkeit, mich auf Spanisch verständigen zu können, empfinde ich es als Zugang zu einer anderen Welt, von der Einsprachige in den USA und darüber hinaus nur begrenztes Verständnis haben.

Zudem kann ich jetzt in beiden Sprachen denken und grundlegende grammatikalische Strukturen verstehen. Das hat zur Folge, dass ich im täglichen Leben Probleme besser lösen und allgemein schneller und effektiver in meiner Muttersprache kommunizieren kann. Insgesamt fühle ich mich geistig reifer und empfinde mehr Empathie als zu der Zeit, als ich nur eine Sprache beherrschte.“

Carlos Ayon

Sprachen: Spanisch, Englisch, Deutsch

„Einerseits verbindet mich eine Sprache mit meinen Wurzeln und dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Aber selbst innerhalb dieser Sprache gibt es verschiedene Ausprägungen, die unterschiedliche Aspekte meiner Identität widerspiegeln, wie der Akzent aus Zentralmexiko oder der aus Nordmexiko, sowie die verschiedenen Slangs. Wenn ich Englisch spreche, empfinde ich eine Verbindung zu Kalifornien, da ich die Sprache mein ganzes Leben lang gehört habe.

Ich bin mir unsicher, wie ich die Sprache verwenden soll, ob zum Lesen, zur Kommunikation oder für andere Zwecke. Dennoch ist sie definitiv ein Teil von mir, da ich aus der Grenzregion zwischen Mexiko und den USA stamme, wo sich beide Sprachen treffen. Bei Deutsch fällt mir schwer, mich selbst in der Sprache zu hören. Selbst mein Tonfall kommt mir manchmal seltsam vor. Es gibt Momente, in denen ich nicht weiß, wie ich mich ausdrücken soll, weil ich nicht weiß, wie wohl ich mich fühle und wie ich von anderen wahrgenommen werde. Doch manchmal funktioniert es einfach, ohne dass ich darüber nachdenke, und dann verschwinden all diese Bedenken einfach.“

Fazit: Der Einfluss von Sprache und Identität ist überall

Die Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen und persönlichen Erfahrungen legen nahe, dass unsere Persönlichkeit in vielfältiger Weise von unserer Sprache und Kommunikation beeinflusst wird. Dies spiegelt sich insbesondere in unserer Interaktion mit anderen Menschen, unserer Wahrnehmung von Menschen und Ereignissen sowie unserer Art und Weise wider, wie wir uns in der Welt positionieren. Die Veränderungen sind nicht zwangsläufig radikal. Unsere Grundpersönlichkeit bleibt im Kern erhalten. Dennoch fungiert die Sprache als ein Filter für unseren menschlichen Ausdruck und verleiht unserer Identität Nuancen und Facetten.

Wenn Sie mehr über die Macht der Sprache und ihre Rolle bei der Identitätsbildung erfahren möchten, könnte es eine lohnende Erfahrung sein, einen Sprachkurs zu besuchen oder interkulturelles Wissen aufzubauen. Beides bietet ein tieferes Verständnis für die kulturellen Nuancen und Identitäten, die mit Sprache verbunden sind. Bei uns können Sie Ihre Fähigkeiten zur interkulturellen Kommunikation verbessern und Ihren Horizont erweitern.

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